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Das Gut des Domherren von Thurn-Valsassina und Annette von Droste Hülshoff

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1816, ein Jahr nach dem Zusammenbruch des französischen Kaiserreiches, kaufte der Konstanzer Domherr Graf Johann Paul von Thurn-Valsassina (1770-1832) umfangreiche Rebberge in der Nähe des Weilers Hinterhausen unweit des Schlosses Petershausen, das im Besitz der Markgrafen Maximilian bzw. Wilhelm von Baden war. Die erworbene Liegenschaft gehörte vorher zur aufgelösten Deutschordenskommende Mainau.

Graf von Thurn oder einfach Johann Paul, wie wir ihn in der Folge nennen wollen, gehörte einem alten Thurgauer Adelsgeschlecht an, dessen Stammsitz im nur 14 Kilometer südlich der Bischofstadt entfernten Schloss Berg (TG) lag. Gleichzeitig besassen die Mitglieder der Familie aber auch – wie in dieser Zeit üblich – Liegenschaften in Konstanz selbst. Man darf in dem Grafen nicht irgendeinen beliebigen Domherren sehen, sondern einen der führenden Köpfe des in Auflösung befindlichen Bistums Konstanz; immerhin wurde ihm zwei Mal das neu geschaffene Amt des Erzbischofs von Freiburg angetragen, das er aber ablehnte. [Bild 1]

Nach der endgültigen und willkürlichen Auflösung der Diözese Konstanz (1827) folgte Johann Paul seinen Neigungen, trug eine nicht unerhebliche Kunstsammlung zusammen und legte auf dem eingangs erwähnten Rebberg einen über die Grenzen hinaus bewunderten Landschaftspark an. Kein Geringerer als der französische Romancier François de Chateaubriand und seine Muse, die schöne Salonière Juliette Récamier besuchten und schwärmten von ihm. Die Anlage umfasste – grob gesagt – die Liegenschaft des heutigen KWA Parkstiftes Rosenau sowie der benachbarten Kliniken Schmieder. Wie man sich den Park vorzustellen hat, geht aus einer Beschreibung aus dem Jahr 1833 hervor: [Bild 2]

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Das Landgut, im Ganzen eine große englische Anlage bildend, liegt an dem reizendsten Ufer des Bodensees, eine halbe Stunde von Konstanz im Großherzogtum Baden; hier findet das Auge einen Vollgenuss, der sich nirgends bald schöner produziert; der herrliche Bodensee dominiert majestätisch den Vordergrund, die üppigen Ufer der Kantone Thurgau und St. Gallen, mit ihren vielen schönen und großen Dörfern und Landhäusern, und hinter diesen die kolossalen Schweizer Gebirge, worunter der hohe Säntis, die sieben Churfürsten und die übrigen Alpen zu allen Zeiten dem Auge den reizendsten Anblick gewähren. Gegen Abend [Westen] die Stadt Konstanz, und hinter ihr der schöne Untersee mit der herrlichen Insel Reichenau, dann der prachtvolle Hegau, [all dies] gibt dem ganzen einen Anblick, welcher nur gesehen und gefühlt, nicht aber beschrieben werden kann. –

Bedenkt man noch überdies, wie der für Kunst- und hohen Sinn so sehr bekannte selige Besitzer hier mit größtem Kostenaufwand und entschiedenen Geschmack, der Natur noch durch Verschönerung aller Art reichlich die Hand bot, so kann man sich den richtigen Begriff machen, hier im Ganzen anzutreffen, was in vielen anderen Gegenden, selbst mit allen Kosten- und Kunstaufwand, nie möglich werden könnte.

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Das Gut bildet einen geschlossenen Einfang [Einheit], grenzt gegen Morgen [Osten] an Privatgüter, gegen Mittag [Süden] an den Bodensee, gegen Mitternacht [Norden] an das Lorettowäldchen, und gegen Abend [Westen] an den Fahrweg zum Gasthaus zum Käntle, und beinhaltet [Bild 3]

An Gebäulichkeiten:

  1. Ein ganz neu erbautes Sommerhaus, welches Parterre einen schönen geräumigen Saal, Küche, Speisegewölbe und unten einen Keller hat; im oberen Stock befinden sich sechs schöne Zimmer, welche, wie der Saal, nicht nur nach neuestem Geschmack tapeziert, sondern auch mit sehr schönen Möbeln versehen sind, welche ebenfalls mit in den Kauf gegeben werden. Zur Sicherheit ist auf diesem Gebäude ein [Blitzableiter] mit drei Stangen angebracht. Dieses Gebäude steht auf einer Insel, man kommt mittels eines Zugschiffs auf dieselbe, und ist mit großen und anderen Ziersträuchern ganz umgeben, sodass es im Sommer den herrlichsten Anblick gewährt.

  2. Eine neu erbaute Rebmannswohnung, in welcher der obere Stock mit fünf geräumigen Zimmern für eine Winterwohnung des Besitzers ganz leicht hergestellt werden könnte.

  3. Eine neu erbaute Scheune mit Stallungen für vier Pferde, und sechs Stücke Rindvieh, Futterboden nebst zwei Remisen.

  4. Eine Eremitage mit gepolsterten Bänken, Spiegel, Lüster etc.

  5. Ein ganz von Stein erbauter Tempel mit acht Säulen, gemaltem Plafond, und einer kupfernen Kuppel.

  6. Ein Pavillon, und unter diesem ein gewölbte Gang, mit Grotte von Tuffstein, wodurch man zu dem großen Basar kommt, welches mit Quellwasser einen Springbrunnen […] hat.

[…]

Die Familie von Thurn-Valsassina zählte zu den engsten Freunden der Dichterfürstin Annette von Droste-Hülshoff, die ab 1834 mehrfach bei ihrer Schwester Jenny und deren Mann Joseph von Lassberg zunächst auf dem Thurgauer Schloss Eppishausen und später in Meersburg lebte. Emma, die Nichte und Haupterbin des Domherrn, bezeichnet die Dichterin sogar als liebste Freundin. So verwundert es nicht, dass die Dichterfürstin das Gut ihrer Freundin kannte und dieses in einem persönlich angefertigten Scherenschnitt verewigte. [Bild 4]

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Vom Thurn’schen Gut geniesst man noch heute einen grandiosen Blick auf den Säntis. Entstand hier vielleicht die Inspiration zu dem gleichnamigen Gedicht der Dichterin? Annette von Droste-Hülshoff Annette von Droste-Hülshoff gehörte – wie sicher auch der Domherr selbst – zum Kreis der Grünen Fürsten. Vieles ist momentan noch unerforscht, aber zumindest über den Freiherren von Lassberg, ihren Schwager, lassen sich Kontakte nach Arenenberg, zur Insel Mainau, nach Salem und nach Heiligenberg belegen. Seine Freunde und Bekannten, Gustav Schwab etwa oder Ludwig Uhland, gehörten zu den Mitgliedern der bekannten Musenhöfe der Grünen Fürsten und galten als fester Bestandteil der Kulturlandschaft am westlichen Bodensee in diesen Jahren.

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Auf den ersten Blick hat sich von der prachtvollen Anlage leider nicht sehr viel erhalten. Aber – wie so oft im Leben – täuscht der erste Eindruck. Wer genau hinsieht, erkennt im Park des heutigen KWA Parkstiftes Rosenau noch eine Erinnerung an die Insel mit ihrem Sommerhaus. Die Rebmannswohnung, die Scheune mit Stallung, der steinerne Tempel mit 8 Säulen [Bild 5] und die Grotte mit Tuffstein vor einem grossen Bassin [Bild 6] haben sich im Park der Kliniken Schmieder erhalten.

Allerdings müssen die Flaneure des 21. Jahrhunderts schon genau hinsehen. Geben sich die Spaziergängerinnen und Spaziergänger von Hinterhausen etwas Mühe entsteht vor dem inneren Auge schon bald ein begehbares Gemälde des verlorenen Landschaftsparks. Ganz so, wie es sich die Grünen Fürsten und die Gäste ihres Hofes wohl vorgestellt hätten.

Text: Dominik Gügel

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Der Säntis

Von Annette von Droste-Hülshoff

 

Frühling

Die Rebe blüht, ihr linder Hauch

Durchzieht das tauige Revier,

Und nah und ferne wiegt die Luft

Vielfarb'ger Blumen bunte Zier.

 

Wie's um mich gaukelt, wie es summt

Von Vogel, Bien' und Schmetterling,

Wie seine seidnen Wimpel regt

Der Zweig, so jüngst voll Reifen hing.

 

Noch sucht man gern den Sonnenschein

Und nimmt die trocknen Plätzchen ein;

Denn nachts schleicht an die Grenze doch

Der landesflücht'ge Winter noch.

 

O du mein ernst gewalt'ger Greis,

Mein Säntis mit der Locke weiß!

In Felsenblöcke eingemauert,

Von Schneegestöber überschauert,

In Eisespanzer eingeschnürt:

Hu, wie dich schaudert, wie dich friert!

 

Sommer

Du gute Linde, schüttle dich!

Ein wenig Luft, ein schwacher West!

Wo nicht, dann schließe dein Gezweig

So recht, daß Blatt an Blatt sich preßt.

 

Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;

Allein die bunte Fliegenbrut

Summt auf und nieder übern Rain

Und läßt sich rösten in der Glut.

 

Sogar der Bäume dunkles Laub

Erscheint verdickt und atmet Staub.

Ich liege hier wie ausgedorrt

Und scheuche kaum die Mücken fort.

 

O Säntis, Säntis! läg' ich doch

Dort - grad' an deinem Felsenjoch,

Wo sich die kalten, weißen Decken

So frisch und saftig drüben strecken,

Viel tausend blanker Tropfen Spiel:

Glücksel'ger Säntis, dir ist kühl!

 

Herbst

Wenn ich an einem schönen Tag

Der Mittagsstunde habe acht,

Und lehne unter meinem Baum

So mitten in der Trauben Pracht:

 

Wenn die Zeitlose übers Tal

Den amethystnen Teppich webt,

Auf dem der letzte Schmetterling

So schillernd wie der frühste bebt:

 

Dann denk' ich wenig drüber nach,

Wie's nun verkümmert Tag für Tag,

Und kann mit halbverschloßnem Blick

Vom Lenze träumen und von Glück.

 

Du mit dem frischgefallnen Schnee,

Du tust mir in den Augen weh!

Willst uns den Winter schon bereiten:

Von Schlucht zu Schlucht sieht man ihn gleiten,

Und bald, bald wälzt er sich herab

Von dir, o Säntis! ödes Grab!

 

Winter

Aus Schneegestäub' und Nebelqualm

Bricht endlich doch ein klarer Tag;

Da fliegen alle Fenster auf,

Ein jeder späht, was er vermag.

 

Ob jene Blöcke Häuser sind?

Ein Weiher jener ebne Raum?

Fürwahr, in dieser Uniform

Den Glockenturm erkennt man kaum;

 

Und alles Leben liegt zerdrückt,

Wie unterm Leichentuch erstickt.

Doch schau! an Horizontes Rand

Begegnet mir lebend'ges Land.

 

Du starrer Wächter, laß ihn los

Den Föhn aus deiner Kerker Schoß!

Wo schwärzlich jene Riffe spalten,

Da muß er Quarantäne halten,

Der Fremdling aus der Lombardei:

O Säntis, gib den Tauwind frei!

Tipp

Näheres zu den spannenden Biografien der GRÜNEN FÜRSTEN und dem Leben an ihren Höfen erfahren Sie in den Sonderausstellungen auf Arenenberg, der Insel Mainau, in Frauenfeld sowie Ittingen und natürlich an unseren weiteren Partnerorten. Hier sehen Sie alle Standorte.

Das Buch zum Ausstellungsprojekt

Der Bildband Grüne Fürsten am Bodensee erscheint im Herbst 2023 im Silberburg-Verlag Tübingen:

Gügel, Dominik: Grüne Fürsten am Bodensee. Arenenberg, Konstanz, die Mainau und Salem – Musenhöfe um 1830. Silberburg-Verlag, Tübingen

Alle Infos zum internationalen Ausstellungsprojekt:

www.gruene-fuersten-bodensee.com 

BILDBESCHREIBUNG UND NACHWEISE

1

Domherr Graf Johann Paul von Thurn-Valsassina (1770-1832)

Aus: Schmieder, Dagmar, Pause am See, Konstanz 1993

2

Plan des Thurn'schen Gutes

Aus: Schmieder, Dagmar, Pause am See, Konstanz 1993

3

Das Gasthaus Zum Käntle und seine Umgebung

Familienarchiv Gügel-Frank, Bildersammlung

4

Das Thurn'sche Gut als Scherenschnitt der Dichterfürstin Annette von Droste-Hülshoff

Quelle: www.artprice.com

5

Der steinerne Tempel mit acht Säulen

Familienarchiv Gügel-Frank, Bildersammlung

6

Die Grotte mit dem Bassin am Rand des Gutes

Familienarchiv Gügel-Frank, Bildersammlung

7

Das Landgut des Grafen von Thurn-Valsassina

Familienarchiv Gügel-Frank, Bildersammlung

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